Eine Minderheit von zwei Richtern argumentierte, dass mit der Gewährung eines Zeitzuschlags der eigentliche Testzweck vereitelt werde. Es gehe darum, jenen Personen einen Studienplatz zu gewähren, die unter Zeitdruck korrekt arbeiten könnten. Fachpersonen hätten ausgesagt, dass ein solcher Ausgleich bei diesem Test nicht möglich sei. Die Mehrheit der Richterinnen und Richter ist jedoch der Auffassung, dass die Erschaffer des Test, nicht als Fachpersonen betrachtet werden könnten. Diese hatten sich nämlich dazu geäussert. Es müsse eine unabhängige Person prüfen, ob ein Zeitzuschlag möglich sei.
Die öffentliche Beratung wurde in Gebärdensprache übersetzt – eine Premiere in der Geschichte des Bundesgerichts. Die Diskussion in der Beratung war sehr engagiert.
Verschiedene Fähigkeiten getestet
Der Eignungstest wird an verschiedenen Universitäten für das Medizin- und Veterinärstudium verwendet, um die beschränkte Anzahl Studienplätze (Numerus clausus) zu verteilen. Das ist auch der Fall an der Universität Bern, wo ihn die junge Frau im Juli 2021 absolvierte.
Geprüft werden logisches Denken, Erinnerungsvermögen, Schnelligkeit, räumliches Vorstellungsvermögen, Textverständnis und die Anwendung mathematischer Formeln. Abgefragt wird dabei nicht bestehendes Wissen.
Der Test als solcher war nicht Gegenstand der Beschwerde. Die Abteilungs-Präsidentin stellte in ihren Ausführungen jedoch die Frage, ob ein Test tatsächlich zuzulassen sei, wenn der Behinderung einer Person keine Rechnung getragen werden könne.
Uni Bern lehnte Zeitzuschlag ab
In der öffentlichen Beratung geht es darum, ob einer angehenden Studentin aufgrund ihrer Leseschwäche beim Eignungstest für das Studium der Veterinärmedizin ein Zeitzuschlag hätte gewährt werden müssen. Die Universität Bern lehnte das ab.
Mit der Unterstützung von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, beschritt die junge Frau den Rechtsweg. Auf kantonaler Ebene wurde ihr Begehren abgewiesen, weshalb sie schliesslich ans Bundesgericht gelangte.
Ihre Logopädin bestätigte, dass die Beschwerdeführerin an einer Leseschwäche leidet. Für den Eignungstest kam die Universität der jungen Frau insofern entgegen, als sie ihr einen Platz am Rande des Saales zuwies. Weitere Erleichterungen gewährte sie ihr nicht.
Chancengleichheit angestrebt
Für sie und einen weiteren Richter war klar, dass mit einem Zeitzuschlag die Chancengleichheit geschaffen werde, die aufgrund des in der Verfassung festgehaltenen Diskriminierungsgebotes angestrebt werden müsse. Die Schweiz sei zudem durch internationale Abkommen verpflichtet, die Diskriminierung behinderter Personen zu verhindern.
Sie reagierten aufgebracht auf das Argument, dass ein Zeitzuschlag nicht nur zu einem Nachteilsausgleich führen würde, sondern zu einer Überkompensierung eines Nachteils. Dies wiederum könne dazu führen, dass allenfalls eine nicht-behinderte Person benachteiligt und aufgrund der beschränkten Anzahl Studienplätze nicht zum Studium zugelassen werde.
Die öffentliche Beratung vom Dienstag wurde in Gebärdensprache übersetzt – eine Premiere in der Geschichte des Bundesgerichts.
(sda)
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