Bern

«Für Direktbetroffene ist es schlimm» – Brienz nach Unwettern auf dem Weg zurück zur Normalität

Nach starken Unwettern

«Für Direktbetroffene bleibt es schlimm» – Brienz auf dem Weg zurück zur Normalität

10.10.2024, 19:00 Uhr
· Online seit 09.10.2024, 15:00 Uhr
Zwei Monate nach dem starken Unwetter kehrt in Brienz langsam Normalität ein. Seit Montag ist die Sperrzone rund um den Milibach aufgehoben. Einzelne Leute werden aber wohl nicht mehr in ihre Häuser zurückkehren können. Vize-Gemeinderatspräsident Markus Weber spricht im Interview über die nach wie vor herausfordernde Situation im Berner Oberländer Dorf.
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Herr Weber, nach den Unwettern im August begann auch für Sie persönlich als Vize-Gemeinderatspräsident eine herausfordernde Zeit. Wie geht es Ihnen?

Es geht mir ziemlich gut. Für mich hat sich die Situation mit den Aufgaben wieder etwas normalisiert. Nichtsdestotrotz steht immer noch viel an. Man ist regelmässig im Austausch mit den Leuten, die vor Ort aufräumen oder den betroffenen Anwohnern.

Wie laufen die Aufräumarbeit im Moment?

Der Geschiebesammler und die Bachschale beim Milibach sind geleert. Der Bach hat also wieder einen freien Lauf bis zum Brienzersee. Anschliessend haben wir bei den einzelnen Liegenschaften bis zu den Hauswänden mit den Aufräumarbeiten begonnen. Wir sind mittlerweile auf den letzten Grundstücken angekommen. Es laufen ausserdem Feinarbeiten, wo man das Kulturland aufräumt. Schliesslich sind die Gemeindebetriebe noch an Arbeiten, um jene Häuser, die noch bewohnbar sind, wieder ans Wasser-, Strom- und Abwassernetz anzuschliessen.

Es wohnen immer noch nicht ganz alle Leute wieder in ihrem Haus?

Nein. Aber es betrifft nicht mehr so viele Leute. Die allermeisten konnten zurück in ihre Häuser, mit Ausnahmen natürlich von jenen, bei denen die Liegenschaften so stark beschädigt sind, dass man da aktuell nicht mehr wohnen kann.

Wie viele Häuser sind komplett beschädigt?

Meines Wissens sprechen wir von sechs Häusern, die einen Totalschaden erlitten haben.

Kann man diese Häuser jemals wieder bewohnen?

Der Gemeinderat von Brienz hat im Schadensgebiet eine sogenannte Planungszone erlassen, aufgrund von Empfehlungen des Kantons. Die Spezialisten sind jetzt dran, das Ereignis zu analysieren und zu verstehen, was überhaupt passiert ist. Auf Basis dieser Analyse muss dann gegebenenfalls ein Wasserbauprojekt ausgearbeitet werden. Die Planungszone ermöglicht in diesem Perimeter solche Projekte. Bis wir diesbezüglich mehr Klarheit haben, ist es schwierig zu sagen, wie es mit diesen Liegenschaften weitergeht. Für die Direktbetroffenen ist das eine sehr schwierige Situation.

Suchen diese Leute bereits einen neuen Wohnort? Oder wie sieht die Situation aus?

Die einberufene Arbeitsgruppe hat einen zeitlichen Horizont. Anfangs Dezember möchte sie erste Resultate präsentieren und aufzeigen, in welche Richtung es geht. Aber bis dann werden einige Leute ein neues Zuhause gesucht haben. Es ist von Hauseigentümer zu Hauseigentümer verschieden. Es gibt solche, die nicht mehr zurückwollen, andere würden gerne zurückkehren, sind sich aber bewusst, dass dies vielleicht nicht mehr möglich sein wird.

Sie planen also zusätzlichen Hochwasserschutz neben dem Milibach?

Wir gehen davon aus, dass die Planung zeigen wird, dass wir da etwas machen müssen.

Für die Besitzer der stark betroffenen Liegenschaften ist es immer noch eine ausserordentliche Situation. Sie können nicht daheim wohnen. Mussten sie diese Leute von der Gemeinde her unterstützen?

Wir mussten nicht gross helfen. Das haben die Leute selbständig organisiert. Da sieht man, dass wir im Dorf leben. Man kennt und hilft einander, wo es geht.

Abgesehen von den starkbetroffenen Gebieten – bemerkt man in Brienz noch etwas vom Unwetter im August?

Wir konnten am Montag die letzte Sperrzone, die am Rand des Dorfes lag, aufheben. Dorthin konnte ein grosser Teil der Bevölkerung bisher gar nicht hin. Die anderen Teilen von Brienz war en vom Unwetter glücklicherweise nicht betroffen. Es war ganz anders als 2005, als ein grosser Teil des Dorfes betroffen war. Klar, man kennt die Betroffenen. Viele Dorfbewohner wollten helfen. Aber wenn man nicht direkten Kontakt mit jemandem vom Dorfrand hat, herrscht in Brienz grösstenteils wieder Normalität. Läuft man in Richtung Milibach, kommt man aber immer noch in eine andere Welt, wo die Schäden und Naturgewalten immer noch eindrücklich sichtbar sind.

Wie sieht es mit dem Tourismus aus? Die Brienz Rothornbahn steht still. Da sind wahrscheinlich weniger Gäste nach Brienz gekommen.

Das ist schon so. Wir haben gesehen, dass die Brienz Rothorn Bahn ein grosser Anziehungspunkt ist. Wir hatten im Sommer viel mehr Parkplätze zur Verfügung, als wir sonst eigentlich jeweils haben. Ab dem Zeitpunkt, als die BLS-Schifffahrt wieder in Brienz angelegt hat, sind die Besucherzahlen wieder gestiegen. Im Grossen und Ganzen hatten wir trotz allem wieder viele Touristen im Dorf. Auch jetzt haben wir Gäste, die hier übernachten.

Gibt es noch Einschränkungen irgendwelcher Art?

Die Wanderwege entlang des Milibachs sind komplett verschüttet. Die werden längere Zeit nicht begehbar sein.

Langsam normalisiert sich alles. Bald ist Brienser Märt. Stehen solche Anlässe unter speziellen Vorzeichen?

Ja, irgendwie schon. Wir wollen aber von Beginn weg möglichst schnell zur Normalität zurück. Wir haben schon bald wieder Anlässe auf dem Quai bewilligt. Auch beim Brienser Märt war klar, dass man den durchführen will. Er wird ganz normal und ohne Einschränkungen im November über die Bühne gehen.

Nach den schweren Unwettern 2005 wurden von den Behörden viele Massnahmen zum Hochwasserschutz ergriffen. Trotzdem gab es nun im August wieder grosse Schäden. Kann man schon eine Bilanz ziehen bezüglich der Schutzmassnahmen? Haben sie ausgereicht?

Es ist zu früh, um das abschliessend zu sagen. Die Komplexität liegt darin, dass die Bäche nicht alle immer gleich reagierten. 2005 brachten der Glyssibach und der Trachtbach enorme Mengen an Wasser und Geschiebe mit, auch die Aare ist über die Ufer getreten, mit Überschwemmungen im Aare-Delta. Am Milibach gab es damals keine Probleme. Erst 2014 ist der Milibach über das Ufer getreten, weshalb wir die Verbauungen dort gebaut haben. Dank dieser Massnahmen wurde  im August ein Viertel des Materials abgefangen. Das hat uns die Zeit gegeben, die Leute rechtzeitig zu evakuieren. Sonst wäre es noch viel gravierender gewesen. Jetzt geht es darum, die Situation nochmals zu analysieren: Anzuschauen, was man beim Hochwasserschutz richtig gemacht hat, was man jetzt vielleicht machen muss und dann zu reagieren. Wir wohnen in den Bergen, vollumfänglich werden wir die Natur nicht kontrollieren können.

Die Schäden waren auch auf dem Friedhof in Brienz gross. Der Gemeinderat erlaubt seit kurzem wieder Bestattungen. Wie ist die Situation?

Der Friedhof wurde mit viel Sorgfalt aufgeräumt, mit ganz feinen Händen. Gewisse Arbeiten müssen noch erledigt werden. Ich bin froh, dass wir eine Lösung gefunden haben und Begräbnisse wieder möglich sind. Der Friedhof liegt auch in der genannten Planungszone. Das ist ein heikles Thema. Wir müssen schauen, wie wir den Friedhof in Zukunft schützen können. Er ist für die Bevölkerung ein wichtiger Ort. Es ist ein Anliegen, dass Verstorbene auf dem eigenen Friedhof begraben werden können.

veröffentlicht: 9. Oktober 2024 15:00
aktualisiert: 10. Oktober 2024 19:00
Quelle: BärnToday

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