Bern
Region Bern

Tausende Anarchisten treffen sich im Berner Jura

Während fünf Tagen

Tausende Anarchisten treffen sich im Berner Jura

· Online seit 04.07.2023, 09:17 Uhr
Mehrere tausend Anarchistinnen und Anarchisten werden ab dem 19. Juli in St-Imier erwartet. Das Städtchen im Berner Jura gilt als Wiege der anarchistischen Bewegung, denn hier ging 1872 die erste Antiautoritäre Internationale über die Bühne.
Anzeige

«Wir erwarten zwischen 2500 und 4000 Personen», sagte ein Mitglied des Organisationskomitees Anarchy2023 der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Da wir keine Anmeldung verlangen, wissen wir nicht, wie viele es genau sein werden.»

Die Veranstaltung sei entsprechend organisiert. «Sie ist anpassungsfähig und modulierbar», erklärte der Aktivist. Dauern soll sie fünf Tage lang. St-Imier mit seinen 5200 Einwohnerinnen und Einwohnern bereitet sich seit Monaten auf den Grossanlass vor. Die meisten öffentlichen Gebäude würden für Workshops, Podien und Veranstaltungen aller Art genutzt, sagte Bürgermeister Corentin Jeanneret.

Von der Veranstaltungshalle bis zur regionalen Eislaufbahn – überall wird der Geist der anarchistischen Bewegung präsent sein. Der radikale Protest soll lebendig bleiben in einer «Welt von Repression, Instrumentalisierung und Kontrolle». Die Teilnehmenden wollen sich auch intensiv mit den Kämpfen befassen, die überall auf der Welt stattfänden, wie es auf der Website heisst. Im Blickfeld sind feministische, ökologische, antifaschistische und antikapitalistische Bewegungen.

«Respektvoll und friedlich»

Zum Übernachten bieten die Organisatoren einen Campingbereich und einen Schlafsaal an. Zwei Küchen und vier Bars werden in der Gemeinde verteilt sein. Das Zelten und die Workshops sind kostenlos. Das Organisationskomitee stellt nur eine Bedingung: Alles muss respektvoll und friedlich sein.

Anarchie bedeute nicht Chaos und fehlende Ordnung, betonen die Veranstalter. Vielmehr gehe es um eine Bewegung, die sich gegen jede zentralistische und autoritäre Macht wende.

Treffen von 1872

Mit dem Treffen in St-Imier erinnern die Anarchisten an ein Ereignis der Zeitgeschichte: Im bernjurassischen Städtchen wurde im September 1872 die Antiautoritäre Internationale ins Leben gerufen. Das 150-Jahr-Jubiläum sollte 2022 gefeiert werden, wurde aber wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben.

Das Treffen von 1872 war eine Folge eines Richtungsstreits in der Arbeiterbewegung. Karl Marx und seine Anhänger strebten eine zentrale Führung an, anders als der russische Revolutionär Michail Bakunin. Mit 14 Gleichgesinnten aus Europa und den USA gründete Bakunin in St-Imier die Antiautoritäre Internationale.

Bakunins Strasse im Berner Jura

Der Berner Jura mit seiner gebeutelten Uhrenindustrie war damals offen für die Theorien des Anarchismus. Das meiste geriet im Lauf der Zeit in Vergessenheit. Bis heute erhalten blieb immerhin das Gebäude, in dem einst der Kongress stattfand – und seit 2017 gibt es sogar eine Rue Bakounine in dem 5000-Seelen-Ort.

Von den Ideen des Russen - gegen den Privatbesitz, gegen den Staat, für die individuelle Freiheit aller – blieb allerdings auch an der Rue Bakounine wenig übrig. «Es ist eine Sackgasse, flankiert von Einfamilienhäusern und Privatgärten», schrieben unlängst die Berner Tamedia-Zeitungen. «Bakunin würde sich in seinem Grab in Bern umdrehen, wenn er das vernähme.»

(sda/fho)

veröffentlicht: 4. Juli 2023 09:17
aktualisiert: 4. Juli 2023 09:17
Quelle: BärnToday

Anzeige
Anzeige
baerntoday@chmedia.ch