Lauthals während der Zugfahrt telefonieren? Das ist für viele Schweizerinnen und Schweizer ein No-Go, für andere kein Problem. Ein Experte erklärt das unterschiedliche Verhalten, was Gespräche und Telefonate in der Öffentlichkeit betrifft, mit der Mentalität und dem Wertesystem, das Menschen in der Erziehung lernen. Auch Teil der Schweizer Mentalität: Laute Telefonate im Zug tolerieren, auch wenn dies als störend oder nervig empfunden wird.
Früher hatte die SBB eine Lösung für das ungestörte Telefonieren während der Zugreise parat. Bestimmte Wagen waren einst mit Telefonkabinen ausgerüstet. Wie die SBB auf Anfrage mitteilt, betraf dies «rund 40 EW-IV-Wagen der 1. Klasse». Diese waren in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre im Einsatz. Allerdings nicht sehr lange, «da mit dem Natel-C das Mobiltelefonieren und die Handys erschwinglich wurden», schreibt Mediensprecherin Sabrina Schellenberg.
Passagiere schätzen es, von Telefongesprächen nicht gestört zu werden
«Ich kann mich noch gut an die Durchsagen erinnern, die in den Zügen jeweils ertönte, in die ein solcher Wagen eingereiht war», kommentiert ein User einen Facebook-Post über die ehemaligen Telefonkabinen. Die Durchsage sei ungefähr so ertönt: «In diesem Zug steht Ihnen ein Telefon für Gespräche ins In- und Ausland zur Verfügung. Die Telefonkabine befindet sich im Erstklasswagen neben dem Speisewagen.»
In derselben Diskussion zeigt sich: Diverse Passagiere wünschen sich eine Telefonkabine zurück. Ein User schreibt etwa: «War eine schöne Zeit, als nicht jeder und jede seinen Senf im Abteil erzählte und alle mithören mussten.» Ein weiterer Nutzer berichtet: «Vor ein paar Tagen erst eine Dame gesehen, die ihr ach so dringendes Handy-Gespräch in der ehemaligen Telefonkabine gemacht hat, irgendwie sympathisch, man brauchte ihr nicht zuzuhören.»
Auch auf dem SBB-Community-Portal äussern sich Reisende über die Telefonkabinen: «Eigentlich sollte es in neuen Zügen pro Wagen eine Telefonkabine geben. Ohne Telefon, einfach ein schalldichter Raum. Dort könnten die Leute dann mit ihrem Smartphone telefonieren gehen, damit nicht der halbe Wagen mithören muss, dass das Grosi schon wieder krank ist und der Leo jetzt laufen kann», heisst es da etwa. Oder: «Ich ärgere mich jedes Mal wenn wichtigtuerische Geschäftsherren, ihre Erfolge durch den ganzen Wagen am Telefon schreien. So eine Kabine wäre wirklich der absolute Hammer!»
Telefonkabinen werden kaum in die SBB-Züge zurückkehren
Gibt es vielleicht ein Comeback der Telefonkabinen? Wohl eher nicht. Denn diese wieder einzuführen, plant die SBB nicht. «Heute haben fast alle Reisenden ein Mobiltelefon und so gibt es, wie auch im übrigen öffentlichen Raum, in den Zügen keinen Bedarf mehr für Telefonkabinen», lautet die Begründung.
Ausserdem bleibt fraglich, ob sich etwas am Ärgernis ändern würde. Psychologischer Berater und Verhaltensexperte Oliver Ender erklärt nämlich: «Das Thema würde sich wohl eher verlagern. Jemand aus einem anderen Kulturkreis würde nicht verstehen, wieso er in eine Telefonkabine gehen müsste, um zu telefonieren, wenn in seiner Heimat in der Öffentlichkeit telefoniert wird. Geht er nicht in die Kabine und telefoniert laut im Abteil, empfinden dies Schweizerinnen und Schweizer wiederum als unverschämt.»
Wer Ruhe will, findet dafür separate Wagen
Die SBB weist ausserdem darauf hin, dass in Intercity-Zügen Ruhewagen und Ruhezonen vorhanden sind, wenn Passagiere nicht von Telefongesprächen gestört werden wollen. «Im Ruheabteil sind Gespräche und Diskussionen, das Abspielen von Audio- und Videoprogrammen und Telefongespräche nicht erlaubt», so SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg. Auch leise geführte Gespräche und das Hören von Audios mit Kopfhörern ist verboten.
In regulären Abteilen gelten die allgemeinen Anstandsregeln. Das heisst: «Grundsätzlich ist erlaubt, was nicht stört.»