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Eishockey-Saisonvorschau: Neuanfang für den EHC Biel nach der glorreichen Ära

Der Eismeister-Check

EHC Biel: Zwischen Wehmut und Neubeginn

· Online seit 13.09.2024, 18:08 Uhr
Der EHC Biel blickt mit ein bisschen Wehmut auf die erfolgreichste Epoche seiner Playoff-Ära zurück. Doch auf Jahre des Ruhmes folgen unweigerlich Aufräumarbeiten und Melancholie. Wie schnell findet der Klub den Weg zurück zum Regenbogen des Ruhmes?
Klaus Zaugg / watson
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Kurz nachdem der EHC Biel im Sommer 2015 in die Tissot-Arena einzieht, unterbreitet der Klub ein erstes Angebot an Jonas Hiller, mit auslaufendem Vertrag in der NHL. Sein Agent hält die Offerte für einen Jux, doch Sportchef Martin Steinegger sagt: «Leite die Offerte doch bitte einfach mal weiter.» Wenige Monate später ist der spektakuläre Zuzug des NHL-Stars vollzogen.

Heute lacht längst kein Agent mehr über eine Anfrage aus Biel. Der EHC Biel ist seit dem Wiederaufstieg von 2008 nach und nach zu einer der besten Adressen in unserem Hockey geworden. Mit einer inspirierenden Kultur des kreativen Tempospiels und einem familiären Umfeld, in dem sich die Spieler wohl fühlen und besser werden. Auf dem bisherigen Höhepunkt der offensiven Flugjahre fehlte im Frühjahr 2023 gegen Servette ein einziger Sieg zum ersten Titel seit 1983.

Um den Meistertitel spielt Biel vorläufig nicht mehr

Inzwischen ist klar: Die Jahre des Ruhmes sind vorbei. Vorläufig zumindest. Biel hat merklich an Substanz verloren, der Klub befindet sich in einer Konsolidierungs- und Neuaufbauphase und wird voraussichtlich ein paar Winter brauchen, bis die Mannschaft wieder ganz vorne mitspielen kann. Die Playoffs, die Biel seit der Saison 2016/17 nur einmal verpasst hat, sind keine Selbstverständlichkeit mehr.

Von zentraler Bedeutung ist die Antwort auf die Frage, ob Biel mit dem Schweden Martin Filander den Trainer gefunden hat, der die Klubkultur zu verstehen und weiterzuführen, die Talente zu fördern und das Publikum mit Spektakelhockey zu begeistern vermag – wie Antti Törmänen, der Architekt der Bieler Hockeykultur, die nicht von Siegen alleine lebt.

Kaderübersicht mit Einzelnoten

Trainer: Note 6

Benotung: 1 bis 10.

Oskharshamn war von 2019 bis zu diesem Frühjahr eine Story für die Romantiker des schwedischen Eishockeys. Ein Kleinstklub (Oskarshamn zählt nur 17'000 Einwohner), der mit überschaubaren Mitteln die zahlungskräftige Konkurrenz ärgert. Die Hausse war in erster Linie zwei Männern zu verdanken: Sportchef Thomas Fröberg und Martin Filander, Schwedens Trainer der Saison 2022/23.

Es ist den beiden nicht mehr gelungen, Oskarshamn im letzten Frühjahr in der höchsten Liga zu halten, aber das soll das Geleistete nicht schmälern. Fröberg fand anderswo in Vergessenheit geratene Desperados, vier Jahre lang entwickelte sie Filander – und es gelang ihm immer wieder, das Team nach finanziell bedingten Abgängen neu auszurichten. Diese Geschichte erklärt uns, warum Martin Filander Biels Trainer geworden ist. Auch Biel ist nach den Jahren des Ruhmes darauf angewiesen, aus einem Minimum ein Maximum herauszuholen und anderswo übersehene oder falsch eingeschätzte Talente zu entwickeln.

Martin Filander kommt mit seiner Spielphilosophie des rasanten Tempospiels und dem behutsamen Umgang mit den Spielern Antti Törmänen nahe und ist der Gegenentwurf des letztjährigen Trainers und Ex-Polizisten Petri Matikainen, der mit liederlicher Trainingsqualität und bizarren Führungsmethoden seine Autorität bald verspielt hatte. Martin Filander ist mit 43 ein junger Trainer, der zu einem Biel im Neuaufbau und Umbruch passen kann. Aber wenn die Resultate nicht stimmen, werden sie zu viele daran erinnern, dass er ein Abstiegstrainer der letzten Saison ist.

Torhüter: Note 9,5

Olympiasieger und Weltmeister Harri Säteri ist nicht bloss ein guter, er ist ein grosser Torhüter, der während sechs Jahren in der KHL seine Vermögensbildung abgeschlossen hat (in Tampere hat er mehrere Wohnungen gekauft) und unbeschwert den Herbst seiner Karriere geniessen kann.

Aber er wird im Dezember 35 und hat seinen Vertrag bis 2026 verlängert. Er kann sein Pensum nicht reduzieren, Biel hat keine Nummer 2, die in seinen Schuhen stehen kann, er muss damit rechnen, auch in der neuen Saison erneut gut 40 Partien spielen und noch mehr Pucks abwehren zu müssen. Kann er diese Belastung erneut stemmen?

Abwehr: Note 6

Die Anzahl Gegentreffer ist in den drei letzten Jahren kontinuierlich gestiegen: von 128 auf 132 und schliesslich 140 in der letzten Saison. Nun hat Beat Forster hinter die Bande (Trainerassistent) gewechselt, Yannick Rathgeb ist nach Fribourg weitergezogen, Robin Grossmann ist inzwischen 37, Yannick Burren hat eher zu wenig, Miro Zryd hingegen zu viel offensives Talent und Luca Christen steht vor der schwierigen zweiten Saison der Bewährung seines Stammplatzes.

Neben den ausländischen Verteidigungsministern Alexandr Yakovenko und Victor Lööv fehlen Tiefe und Qualität in der Abwehr wie nie mehr seit der ersten Saison in der neuen Arena (2015/16, 175 Gegentore). Martin Filander steht vor einer grossen defensiven Herausforderung.

Sturm: Note 6,5

Mit den Abgängen von Mike Künzle, Tino Kessler und Luca Hischier sind zwar «nur» 22 Tore verloren gegangen. Aber eben auch ein ganzer Block an gestandenen Spielern im besten Alter. Noch sind genug Stürmer da, die an einem guten Abend jeden Gegner zersausen können: Lias Andersson, Damien Brunner, Luca Cunti, Gaëtan Haas, Aleksi Heponiemi, Fabio Hofer, Johnny Kneubuehler, Nicolas Müller, Toni Rajala und Jere Sallinen.

Aber einige sind zerbrechliche Schillerfalter geworden, und Verletzungspech kann das Offensivspiel aus der Balance bringen. Die Torproduktion ist bereits letzte Saison von 174 auf 139 Treffer gefallen, auf den tiefsten Stand seit der Saison 2016/17.

Management: Note 10

Die Bieler leben nicht von den Resultaten allein. Letzte Saison brachte für den Playoff-Finalisten von 2023 einen Rückschlag vom 2. auf den 9. Platz, trotzdem betrug die Stadionauslastung mehr als 97 Prozent. Die Donatorenvereinigung meldete einen Mitgliederrekord und überwies satte 4,74 Millionen Franken in die Klubkasse.

Die Kontinuität in den Schlüsselpositionen ist vorbildlich, Manager Daniel Villard hat den Klub in 20 Jahren aus den Niederungen der zweithöchsten Liga zurück in die höchste Spielklasse und in eine neue Arena geführt und Sportchef Martin Steinegger hat seit der Amtsübernahme (2012) noch nicht oft geirrt. Die einzige Frage ist, ob es weiterhin gelingt, im Umfeld genügend «Erwartungsmanagement» zu betreiben, damit in der aktuellen Übergangsphase keine Hektik aufkommt.

(Klaus Zaugg/watson.ch)

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veröffentlicht: 13. September 2024 18:08
aktualisiert: 13. September 2024 18:08
Quelle: watson

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