Bern

Aus Express wird Bummler: Deswegen stockt der Solarausbau in Bern

Regierungsrat Christoph Ammann

«Solarexpress ist zum Bummler geworden»

· Online seit 21.10.2024, 05:00 Uhr
Der von der Politik ausgerufene Solarexpress stockt gehörig. Diverse Projekte für Grossanlagen im alpinen Raum sind am Willen der lokalen Bevölkerung gescheitert. Der kantonale Energiedirektor, Christoph Ammann (SP), spricht neuerdings von einem «Solar-Bummler».
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«Drei bis sechs Solar-Grossprojekte in den Berner Bergen sollen 2025 ans Netz kommen», sagte Christoph Ammann noch im Februar 2024. Ein gutes halbes Jahr später hält der kantonale Energiedirektor zwar an diesem Ziel fest, relativiert aber: «Die Euphorie ist etwas gedämpfter als noch im Winter, als ich diese Aussage gemacht habe. Dass zumindest drei Projekte bis 2025 realisiert werden können, ist nach wie vor realistisch», so Ammann.

Allerdings gibt er zu: «Der Solarexpress ist ein bisschen zum Bummler geworden.» Von einst einem guten Dutzend Berner Projekten sind mehr als die Hälfte gescheitert, oft am Willen der lokalen Bevölkerung. Im Saanenland, am Hasliberg oder im Lauterbrunnental wollte man nichts von Photovoltaik-Anlagen in den Berglandschaften wissen. Sechs Solar-Grossprojekte sind im Kanton Bern im Moment noch in Planung.

Bevölkerung überrumpelt

Bern ist kein Einzelfall, es harzt schweizweit mit der Umsetzung von alpinen Solaranlagen. Der Solarexpress, wie ihn die Politik im Bundeshaus 2022 wegen einer drohenden Strommangellage ausgerufen hat, ist damit gescheitert.

Ammann sieht dies etwas differenzierter: «Die Goldgräberstimmung ist definitiv vorbei. Für mich war immer klar, dass der Solarexpress eine Art Versuchsprojekt ist. Mit einzelnen Anlagen, die möglichst schnell realisiert werden, kann man Erfahrungen sammeln, um in Zukunft weitere Solarparks zu realisieren. Diese Erwartung ist bisher noch nicht enttäuscht worden.»

Der Berner Energiedirektor glaubt, dass das Express-Tempo ein Grund war, weshalb sich viele Gemeinden gegen Solarprojekte ausgesprochen haben: «Es bestand ein enormer Zeitdruck, man hat an verschiedenen Orten die Bevölkerung überrumpelt und sie zu wenig mitgenommen.» Die Vorgaben des Bundes waren bisher, dass nur Solarparks Subventionen erhalten sollen, die ab 2025 10 Prozent der Gesamtkapazität des Stroms ins Netz speisen. Diese Vorgabe steht allerdings nun, da die Solarparks vor sich her bummeln, auf dem Prüfstand.

Solarparks könnten mehr Zeit erhalten

Die Energiekommission des Ständerats hat zuletzt eine Anpassung gutgeheissen, die den Verantwortlichen rund um die Solarparks mehr Zeit geben würde. Neu soll es reichen, wenn 2025 ein Baugesuch für einen Solarpark eingereicht wird. «Das könnte sehr viel Druck wegnehmen», sagt Christoph Ammann. Er hofft, dass sich das Parlament für diese Änderung ausspricht.

Von einer solchen Änderung würden insbesondere die verbleibenden fünf Solar-Projekte im Berner Oberland profitieren. Dort sind aktuell Beschwerden hängig, es laufen Gespräche mit Grundeigentümern oder die Baupublikation ist noch nicht erfolgt. Am vielversprechendsten ist aktuell wohl das Projekt im Berner Jura rund um den Mont Soleil bei St. Imier, wo sich auch Umweltverbände für einen Bau einsetzen. Auf eine Prognose, welche Projekte am meisten Erfolg versprechen, will sich Ammann nicht einlassen.

Solarparks sind keine Symbolpolitik

Doch wie wichtig wären solche Solarparks in den Schweizer Bergen überhaupt für die Stromproduktion? Im Vergleich mit grossen Solarparks etwa in Deutschland oder Spanien wären jene in der Schweiz nur sehr klein. Also alles nur Symbolpolitik?

Ammann widerspricht: «Für Symbolpolitik habe ich mich noch nie einspannen lassen. Zum Glück sind es nicht riesige Anlagen, die würden nicht in die Alpen passen. Aber mit mittelgrossen Anlagen lässt sich ebenso Strom für mehrere Tausend Haushalte produzieren. Gerade dann, wenn im Winter in den Bergen über dem Hochnebel die Sonne scheint, könnten solche Kraftwerke sehr wertvoll sein, insbesondere für den Betrieb der Bergbahnen», so der Energiedirektor.

Strommangellage bleibt ein Thema

Die Debatte rund um die Solarparks in den Alpen zeigt, in welcher Situation sich die Schweiz bezüglich Stromproduktion befindet. Alle brauchen immer mehr Strom, doch wie er generiert werden soll, ist höchst umstritten. Bei allen Technologien gibt es derzeit Vorbehalte und Gegenwehr. Kurzfristig sehe die Versorgungslage gut aus, sagt Ammann. Für den kommenden Winter erwartet er keine Mangellage: «Die Gasspeicher in Europa sind voll, die französischen AKWs laufen, für den kommenden Winter bin ich zuversichtlich.»

Der Berner Energiedirektor hebt aber gleichzeitig den Mahnfinger: «Die Abhängigkeit vom Ausland, generell die Wechselwirkung zwischen Gas und Strom in Europa, bleibt. Die Schweiz ist gut beraten, wenn sie ihre Potenziale ausschöpfen würde.» Im Kanton Bern denkt SP-Regierungsrat Ammann dabei insbesondere an die grossen Wasserkraftprojekte bei Grimsel und Trift im Berner Oberland und an freie Dach- und Parkplatzflächen, wo noch keine Solarzellen montiert sind. Ammanns Amtskollege eine Stufe höher im Bundeshaus, SVP-Bundesrat Albert Rösti, liebäugelt hingegen mit dem Bau neuer Atomkraftwerke. Diese sind in der Schweiz genauso umstritten wie Solarparks im Haslital oder im Saanenland.

veröffentlicht: 21. Oktober 2024 05:00
aktualisiert: 21. Oktober 2024 05:00
Quelle: BärnToday

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