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Prozess zu Kindsmord in Niederwangen bei Bern - was in der Anklageschrift steht

Mordprozess

Getötetes Kind im Könizbergwald: Mutter streitet Tat ab

05.06.2024, 19:20 Uhr
· Online seit 05.06.2024, 09:07 Uhr
Ab Mittwoch steht in Bern die Mutter vor Gericht, die im Februar 2022 in Niederwangen ihre 8-jährige Tochter umgebracht haben soll. Nun liegt die Anklageschrift vor mit den detaillierten Vorwürfen der Berner Staatsanwaltschaft – und einem möglichen Motiv.
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Es ist ein Dokument des Schreckens: Die sechsseitige Anklageschrift, die heute zum Prozessstart im Fall der Kindstötung im Könizbergwald den Medien abgegeben wurde. Die Anklage wirft der Mutter vor, am 1. Februar 2022 ihre Tochter mit einem acht Kilo schweren Stein erschlagen zu haben. 

Gemäss Anklageschrift hat die Mutter irgendwann den Entschluss gefasst, «sich ihrer Tochter zu entledigen». Am Tag der Tat sei sie mit ihrer Achtjährigen in den Wald gegangen, zu einer Stelle, wo sie in der Woche zuvor gemeinsam ein Versteck gebaut hatten. Dort soll die Mutter ihre Tochter erschlagen haben. Möglicherweise habe sie zuvor das Kind bewusstlos gemacht, «beispielsweise mittels Einwirkung auf die Atemwege».

Pro forma auf die Suche gemacht

Die Tat soll sich ungefähr um kurz nach 17 Uhr ereignet haben. Danach sei die mutmassliche Täterin zurück in ihre Wohnung gegangen und habe ihrer Mutter eine Whatsapp-Nachricht geschickt, ebenso verschiedenen Nachbarinnen. Sie fragte, ob ihre Tochter bei ihnen sei. Etwa eine Stunde später begann sie, zusammen mit ihrer Mutter, im Quartier zu «suchen», ging dann an den Tatort im Wald, wo sie ihre Tochter «fand».

Die Notärzte konnten am Abend kurz nach 20 Uhr nur noch den Tod des Mädchens feststellen. Die Kopfverletzungen, in der Anklageschrift detailliert beschrieben, waren zu schwer.

Heimtückisch und skrupellos

Die Täterin habe besonders skrupellos und heimtückisch gehandelt, die Tat sei geplant gewesen. Sie habe ihre «ahnungslose Tochter, die ihr vertraute und von ihr abhängig war», unter einem Vorwand in den Wald gelockt und dort getötet. «Ihr Vorgehen zeichnet sich durch besondere physische Brutalität, Kaltblütigkeit, Grausamkeit und Gefühlskälte» aus.

Zudem habe die Angeklagte ihre Mutter an den Tatort geführt, wo sie den Anblick ihrer getöteten Enkelin ertragen musste. Die Eltern der Angeklagten sind offenbar von der Schuld ihrer Tochter überzeugt und nehmen am Prozess als Privatkläger teil.

Motiv: Extremer Egoismus

Als Motiv vermutet die Staatsanwaltschaft, dass die Mutter ihre Tochter «als eine Last bzw. Hindernis» betrachtet habe, sie sei ein unerwünschtes Kind gewesen. Die Täterin habe Schwierigkeiten als alleinerziehende Mutter gehabt, besonders in Partnerschaften.

Ihre eigenen Bedürfnisse («Partyleben» und Interesse an Ausgang) seien ihr wichtiger gewesen. Dieses Motiv sei besonders verwerflich, so die Staatsanwaltschaft, und zeuge von extremem Egoismus.

Riesiges Interesse

Der Gerichtspräsident eröffnete am Mittwochmorgen mit etwas Verzögerung die Verhandlung. Der Prozess findet im grössten Gerichtssaal des Amtshauses in Bern statt, es sind zwischen 60 und 70 Zuschauende da, zusätzlich rund ein Dutzend Medienschaffende. Die Angeklagte ist persönlich anwesend. Gefasst und sichtlich etwas nervös tritt sie in den vollen Saal. Sie sitzt vorne rechts, trägt eine gestreifte Bluse, das schwarze Haar ist offen.

Nach einer kurzen Zeugenbefragung des Bruders der Angeklagten startete die Einvernahme der Beschuldigten. «Mir geht es nicht gut», antwortet die mutmassliche Täterin auf die Frage, wie es ihr gehe. Sie könne in der Haft nicht richtig trauern, sie ist seit 2022 in der Haft.

Gemäss der Anklage soll die mutmassliche Täterin mit dem Muttersein überfordert sein und sah ihre Tochter als Hindernis für das gewünschte Privatleben. «Es ist das Klischee der alleinerziehenden Mutter, aber das stimmt nicht», entgegnet die Beschuldigte. Auch die Beendigung der Beziehung mit dem Ex-Freund ist aus Sicht der Anklage einen Auslöser. War die Tochter ein Grund für das Aus der Beziehung, fragt der Richter? «Nein», entgegnet die Angeklagte.

«Ich weiss, dass ich es nicht gewesen bin»

Das letzte Mal lebend gesehen habe sie ihre Tochter, als diese zu einer Freundin ging. «Ich habe ihr vom Balkon nachgeschaut.» Sie selbst habe den Nachmittag zu Hause «gechillt». Ein Zeuge sagte aus, die Beschuldigten und ihre Tochter vor dem Tatzeitpunkt gesehen zu haben, wie sie gemeinsam in den Wald gingen. Laut der Beschuldigten gebe es eine Frau, die ihr angeblich ähnlichsehe.

Als sie die Tochter tot mit starken Verletzungen am Hinterkopf des Kindes auffand, habe die Beschuldigte zuerst gedacht, dass das Kind nur verletzt sei. «Dann sah ich all das Blut», sagt sie.

«Dachten Sie, dass jemand ihrer Tochter etwas angetan habe», fragt der Richter. Die Mutter ist lange still, weint und gibt keine Antwort. «Es waren so viele Gedanken und der erste war einfach Hilfe zu holen», antwortet die Beschuldigte. «Ich weiss einfach, dass ich es nicht gewesen bin. Ich möchte, dass man mir das endlich glaubt.»

Psychiatrisches Gutachten: Innere Konflikte

Das psychiatrische Gutachten ist laut dem Richter rund 130 Seiten stark. Sogenannte Infantizide, also Kindstötungen, seien «absolute Einzelfälle und eine Rarität».

Der Gutachter kommt zum Schluss, dass die Beschuldigte zum Tatzeitpunkt «psychisch normal» gewesen sein. Herausgestochen sei bei der Beschuldigten, dass sie einerseits in einem sehr wertkonservativen Umfeld gross geworden ist. Andererseits habe sie ein starkes Freiheitsempfinden und einen Drang zu «nonkonformistischem» Verhalten – das führe zu inneren Konflikten. 

Das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland wird nächste Woche, am 13. Juni, verkündet.

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veröffentlicht: 5. Juni 2024 09:07
aktualisiert: 5. Juni 2024 19:20
Quelle: BärnToday

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